Im Alter von 104 Jahren starb der letzte große Matador der architektonischen Moderne.
Oscar Niemeyer war einer der wenigen Architekten, die eine ganze Stadt an ihrem Reißbrett entwerfen und dann auch gebaut sehen durften. Er ist der Architekt Brasilias, der jungen Hauptstadt einer noch jungen Nation. Oscar Niemeyer stand aber für weit mehr, als für gebaute Utopien und die Vision einer modernen Urbanität. In seinem langen Leben hat er vieles erreicht und ist doch immer ein einfacher, unmittelbarer Mensch geblieben.

Mehr alls 400 über die Erde verteilte Bauten zählt sein Aktivum. Noch mit 100 Jahren verkörperte Niemeyer jenen charakteristischen Dynamismus, der die talentiertesten Architekten seiner Generation, jenen heroischen Vorkämpfern einer neuen Architektur zu eigen war. Selbst im hohen Alter ging er jeden Tag noch ins Büro, begleitet von seiner Frau Vera. Unter den vielen Projekten, die sein Büro in den letzten Jahren hervorgebracht hat, findet sich auch ein kleines Auditorium für den malerischen Ort Ravello an der Amalfiküste. Auch bei diesem kleinen Projekt offenbart er nochmals sein großes Gespür für den Kontext, die Einbettung der Architektur in ihr Umfeld. Denn nie kann Architektur ohne Reflexion des Ortes entstehen.
Fasziniert von den bautechnischen Möglichkeiten und der sinnlichen Kraft gekurvter Formen, die sich gegen das Dogma des rechten Winkels stemmen, hat Niemeyer großartige Bauwerke hinterlassen; kühn demarkieren sie die Grenzen zwischen Architektur und Design, – und zwar noch weit bevor das digitale Zeitalter die Welt der Architektur auf den Kopf stellen wird.
Zeitlebens wandte sich der überzeugte Kommunist Niemeyer gegen die Architektur des Kommerzes,. Seiner Auffassung nach sei die Architektur allzu ungerecht und unmenschlich, denn die Architekten arbeiteten vornehmlich für junge und reiche Menschen, die Armen hätten dabei keine Stimme. Zwar könne man einen armen Menschen mit guter Architektur überraschen, teilhaben könne er jedoch nicht. Es sei aber vor allem die Arbeit der einfachen Menschen auf die es ankomme. Deshalb, so Niemeyer, sei letztlich der Protest gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung auch wichtiger als seine eigene Arbeit. Er selbst habe sein Werk immer als ein Versuch verstanden, zu einer besseren Welt beizutragen.
Am epochalen Übergang, den die Zwischenkriegszeit markiert hat, gehörte Niemeyer zu den jungen Architekten, die für eine zeitgemäße Architektursprache eintraten. Den Kampf um den rechten Umgang mit den Errungenschaften der Neuzeit vor dem Hintergrund eines zu respektierenden Erbes gestaltete er mit und war bis heute der letzte Überlebende jener heroischen Phase der Moderne, die den Weg in die Gegenwart geebnet hat.