Monumentale Moderne?

„Those who have buried architecture, whether from a thwarted desire to continue the past or from an over-anxiety to modify and hurry on the future, have been premature: We have an architecture still.“ (Hitchcock, Henry-Russell und Philip Johnson: The International Style. New York 1995, S. 106.)

Als 1932 im New Yorker Museum of Modern Art die für den sogenannten Internationalen Stil prägende Ausstellung Modern Architecture :  International Exhibition ihre Pforten öffnet, erklingen dort längst nur noch die Hochtöne eines in der westlichen Welt bereits vertrauten Grundtons moderner Architektur.[1] Zwar ist es das erklärte Ziel der Ausstellungsmacher, anhand heute überaus prominenter Beispiele der europäischen Avantgarde,[2] die internationale Konvergenz einer radikal modernen Architekturströmung als kompakten Block sichtbar zu machen, tatsächlich ist jedoch auch ihnen bewusst, dass sich bereits ein überaus breiter Weg aus dem historisierenden ‚Kostümball‘ des 19. Jahrhunderts heraus verfestigt hat, der auf unterschiedliche Weise begangen wird, letztlich aber zum selben Ziel führt: Erneuerung.

Fagus-Werk
Walter Gropius und Adolf Meyer: Fagus-Werk, Alfeld an der Leine, 1911-14.

Die Ausstellung sowie weite Teile der nachfolgenden Architekturgeschichtschreibung verweisen auf eine vermeintlich in sich geschlossene Ausdrucksweise, die in den gestaltgebenden Kategorien der Funktionalität und einer versachlichten Ästhetik, wie auch der kompromisslosen Verwendung neuer Materialien und Techniken, gemessen wird. Auffällig wird die sich daraus ableitende Architektur von allem abgesetzt, was als überholt oder unzeitgemäß erachtet wird. Doch kann eben diese Unterscheidung, dieses großartige Experiment, das durch die moralischen und kulturellen Erschütterungen des Ersten Weltkriegs überhaupt erst zum Erfolgsmodell wird, als Äußerung einer sozialen und kulturellen Neuverortung nur in Abhängigkeit einer anderen Modalität des Modernen umfänglich erfasst werden. Es ist eine Modalität des Vertrauten, des Gewohnten oder gar Gewöhnlichen – sozusagen des ‚Normalen‘ – von dem sich das radikal moderne Experiment der Avantgarde überhaupt erst abheben kann und doch bleibt, wie eingangs erwähnt, die Stoßrichtung dieselbe. Traditionalismus, Historismus, Klassizismus, Eklektizismus, Akademismus und regionale Vernakularismen[3], allesamt zeichnen sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch einen je eigenen, um Kontinuität und Erneuerung gleichermaßen bemühten Antrieb aus. Zusammengenommen stellen sie die eigentliche komplexe Mehrschichtigkeit der Moderne dar, in der versucht wird dem Besonderen der eigenen Zeit sowohl durch Erfindungsreichtum und konstruktive Logik als auch durch Vereinfachung, Neubearbeitung und Interpretation des Vertrauten Ausdruck zu geben.

In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen vollzieht sich der lange angebahnte zivilisatorische Umbruch, der den Boden für unsere eigene Gegenwart bereitet. In eben dieser Zeit entfaltet sich eine architektonische Ordnung, die versucht ohne Bruch an die vergangenen Epochen anzuknüpfen. Indem sie eine kritische Position zu den Errungenschaften der Avantgarde einnimmt und zugleich versucht alle gängigen Strömungen durch den progressiven Gebrauch des Bauerbes zu integrieren, äußert diese Architektur das „Bedürfnis nach einer fundamentalen Konstante“ (Borsi 1986, S. 196). Infolge der stürmischen Jahre nach dem Ersten Weltkrieg führt der wachsende Wunsch nach Beständigkeit und kultureller Verankerung zu einer gemäßigt-modernen Ordnung der Architektur, die sich von der bloßen Wiederholung löst. Es geht um eine Rückkehr in den Schoß der Geschichtlichkeit, um die eigene Einreihung in den fortwährenden Strom der Epochen und die damit verbundene Fortschreibung kultureller Identität durch die Betonung der kulturellen Bedeutung, anstatt durch die Begründung einer neuen, wiederum nur sich selbst genügenden (modernen) Tradition.

Anmerkungen

[1] Zwei Monate vor der Ausstellungseröffnung und der Veröffentlichung des zugehörigen Katalogs erscheint das von den Kuratoren Henry-Russell Hitchcock und Philip Johnson verfasste Buch The International Style : Architecture since 1922. Sie spielen damit auch auf das von Gropius 1925 veröffentlichte Buch Internationale Architektur an, gehen jedoch mit ihrer Kategorisierung als Stil weiter. Im Gegensatz dazu steht die 1937 in Paris stattfindende Weltausstellung. Hier kommt es zum ultimativen Schaulaufen der Nationen und zum unmittelbaren Wettstreit der verschiedenen Ausdrucksformen des Modernen.  

[2] Auch als Klassische Moderne, Neues Bauen oder International Style bezeichnet.

[3] Von vernacular im Sinne von volkstümlich, einheimisch, ortstypisch.