Ein neues Kolosseum oder doch nur Rhetorik? Der Entwurf für das neue Stadion des AS Rom

An großen baulichen Vorbildern fehlt es in Rom freilich nicht. Von je her kennzeichnet der Umgang mit dem Bauerbe und der daraus resultierenden Bautradition die spezifisch römische Moderne. So verwundert es nicht, dass selbst der weltweit im Stadionbau renommierte Dan Meis vom US-amerikanischen Büro Woods Bagot in seinem Entwurf für das neue Stadion des Traditionsclubs AS Rom einen Weg beschreitet, der sich das große Theater am Forum Romanum – zumindest stellenweise – zum Vorbild nimmt. Andererseits ist Rom aber auch die Stadt der Olympischen Spiele des Jahres 1960 und weist folglich durchaus beeindruckende Zeugnisse einer radikalen und innovativen sportstättenarchitektur auf. Man denke nur an den Palazzetto dello Sport, der mit seiner leichten und suggestiven Struktur etwas von der Idee technisch fortgeschrittener Bauvision vergegenwärtigt.

Das neue Stadion ist mit 52.500 bis 60.000 Plätzen (je nach Veranstaltung) ausgelegt und soll im Stadtteil Tor di Valle entstehen. Es würde das Olympiastadion als Austragungsort der Heimspiele des inzwischen im Besitz des italo-amerikanischen Unternehmers James Pallotta befindlichen AS Rom ersetzen. Daher vielleicht auch der Versuch, die Aufgabe mithilfe eines amerikanischen Architekturbüros zu lösen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich vielleicht die eigentümliche Mischung aus rhetorischen Anklängen an die römische Bogenarchitektur und einer modernen Stahl-Glas-Konstruktion, die zwar das Bild des Kolosseums evoziert, aber doch sehr an Authentizität mangelt. Transluzentes Glas und Teflon bilden zudem den Abschluss des Stadions, so dass sich die Frage stellt, ob Rom hier tatsächlich eine nachvollziehbare, konsequente Fortschreibung seiner Baugeschichte oder doch eher nur eine beliebige High-Tech-Pfanne erhält, der man ein wie ähnlich wie die Toga locker sitzendes romanisierendes Gewand verpasst hat.

Sicher spielt bei dem neuen Entwurf auch das Branding des Traditionsclubs eine Rolle, trägt er doch die Kapitolinische Wölfin im Wappen. Doch verkörpert der Entwurf allzu sehr die amerikanische Vorstellung einer Umsetzung oder Fusion zeitlich ungleichzeitiger architektonsicher Ideen. Gerade die Abstraktion der Fassade und deren fast losgelöste Positionierung vor der Konstruktion können nicht überzeugen. Interessant bleibt jedoch die offene Gestaltung der Ränge und die beeindruckende Regelmäßigkeit des Baukörpers. Unter funktionalen Gesichtspunkten wird das Stadion überfällige Neuerungen bringen, seine Positionierung in der Baugeschichte Roms, die auch hervorragende und bestens harmonierende zeitgenössische Bauwerke kennt, bleibt jedoch offen. Die Frage eines Stadions könnte eine internationale sein, wie jüngere Beispiele in Deutschland, England oder China zeigen; sie könnte aber auch die Chance zum Gegenteil sein: kein willkürliches Schaulaufen des Möglichen, sondern Auseinandersetzung mit dem Vorgefundenen in einem überaus großen Bauwerk.

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