Nachdem die ersten Eindrücke einer neuen Spielstätte buchstäblich aus dem Ärmel des Oberbrügermeisters und seiner Vertrauten gezaubert worden sind, drängen sich sogleich ein paar grundsätzliche Fragen auf, die – so scheint es – entweder vergessen oder verdrängt worden sind.
Durchaus eindrucksvoll präsentiert sich ein hufeisenförmiger, lichtdurchfluteter Theaterraum in einem Rendering, das ganz offensichtlich darauf abzielt, die Schwäbisch Haller Einwohnerschaft auf eine neue Ikone einzuschwören – eine Ikone jedoch, die eine alte, bereits etablierte ersetzen soll. Es geht um das neue Theater, den vielleicht impliziten Wunsch nach einem beständigen, ganzjährig nutzbaren Theaterbau. Die Sehnsucht nach einem ‚echten‘ Theater, anstatt flüchtiger Freilichtspiele, wer weiß. Doch hat man sich eingehend mit der Frage beschäftigt, ob es nicht sinnvoller wäre, sowohl Branding als auch Zeitlosigkeit und Internationalität des von Shakespeare entwickelten Universal-Theaters weiter zu nutzen, anstatt mit einer – zugegebenermaßen etwas willkürlichen Idee eines transplantierten griechischen Theaters – in eine andere Richtugn zu gehen. Das heißt, es wäre gundsätzlich und gegebenenfalls nochmals zu klären, ob sich ein Universal-Theater namens Globe – wohlgemerkt für überall konzipiert und überall gebaut – nicht plausibler verhält, als die fixe Idee eines im Griechenlandurlaub gefundenen Theaterbildes.
In dieser Perspektive drängt sich sogleich die Frage nach der Typologie des Theaters auf. Das bisherige Globe übernimmt als gerichteter Rundbau eine Scharnierfunktion an einer stadträumlich neuralgischen Stelle. Der vorgeschlagene quaderförmige Neubau könnte diese Funktion niemals übernehmen, auch ist sein Typus weit städtischer als der pavillonartige Charakter des bestehenden Globe. Also schließen sich zwei weitere grundsätzliche Frage an: Will man am Unterwöhrd als Standort festhalten, dann braucht es eine Typologie, die dies erfüllen kann und diese ist – wie die Erfahrung zeigt – zweifellos ein gerichteter Rundbau und zwar an der Scharnierstelle der Wegeführung. Dieser könnte als neues Globe alle Kriterien erfüllen, indem es als ein Gebäude mit ähnlicher Form und vergleichbaren Ausmaßen entworfen würde, allerdings tiefer eingegraben und höher. Andererseits gilt, dass wenn man ein Theater will, das in seiner Gestalt deutlich städtischer ist, auch einen städtischeren Standort haben muss. Das Idyll des bisherigen Unterwöhrd und eine strenge kubische Gestalt der vorgeschlagenen Ausmaße lassen sich freilich nicht vereinbaren. Somit ist die Frage nach dem Typus und dem Standort nach der eingangs erläuterten Frage nach der Nutzung bzw. Funktion gleich zuvorderst zu klären. Wobei die Aspekte Typus und Funktion einander aufs Engste bedingen; die Gebäudeart wiederum mit ihrem Charakter die Architektursprache bestimmt.
Ferner sind die städtebaulichen Möglichkeiten zu untersuchen. Offenbar ist niemandem von den Verantwortlichen aufgefallen, dass der bisherige Vorschlag wie ein Sperrklotz den Unterwöhrd ruinieren würde. Von Romantik bliebe nicht mehr viel übrig, das Wesen eines Naherholungsparks ginge definitiv verloren, wie allein schon der Baukörper und die notwendige Infrastruktur zu dessen stadträumlischer Erschließung verdeutlichen. Warum der Neubau eines Rundbaus als Möglichkeit einer städtebaulich geschickten Lösung an bestehender Stelle gar nicht erst als Entwurf entwickelt wurde, bleibt im Arkanum der Hinterzimmer verborgen.
Des Weiteren muss der Blick auch auf die Plausibilität der hier durchaus euphemistisch als ‚Skizze‘ präsentierten banalen Außenbaugestaltung gerichtet werden. Sie lässt wenig Gutes für einen konkreten Entwurf in dieser Spur erahnen. Vermag der vorgeschlagene Innenraum zumindest in der Computergrafik räumliche Güte zu suggerieren, so sind die Qualitäten des Außenbaus schlicht unterirdisch oder vielmehr eines Theaterbaus unwürdig. Mit der Rhetorik eines Provinzbankgebäudes lässt sich das stadträumliche Primärelement Theater nicht adäquat umsetzen, auch wenn man es hochfliegend ‚Odeion‘ nennt. Das vom Oberbürgermeister und dem Intendanten der Freilichtspiele präsentierte Theaterbauwerk stimmt in der Tat in seiner gesamten Konzeption nicht. Es erscheint wie ein überlegter Akt wohlgemeinter aber fehlgeleiteter Fantasie. Die verschiedenen Wortbeiträge verraten denn auch offensichtlich ein babylonisches Durcheinander an Anforderungen, Vorstellungen und Interpretationen. Viele Aspekte der von Herrn Pelgrim, Frau Wilhelm oder des Intendanten vorgebrachten Argumentationen lassen sich nicht in Einklang bringen und wirken in der einen Frage nach dem Theaterneubau wie aus der Luft gegriffen.
Gerade städtebaulich und kulturell weittragende Entscheidungen verraten einmal mehr, dass man sie nicht ohne geeignete Berater treffen sollte. Warum lassen sich die Stadt oder vielmehr ihre höchsten Repräsentanten nicht angemessen ins Bild setzen, von anerkannten Architekten beispielsweise, die aufgrund ihrer vielgestalten Arbeit und Laufbahn genügend Kompetenz und Unabhängigkeit garantieren? Dann vielleicht ließen sich solche Fehlplanungen rechtzeitig vermeiden und kreative Energien in die richtige Richtung lenken, anstatt, so mag es scheinen, Geltungsbedürfnisse und Aufmerksamkeitsdefizite im Deckmantel gekünstelter Geschichtsbezüge auf Kosten städtebaulicher Substanzfragen auszutragen.
Für den in Aussicht gestellten Planungsbeirat sollten sich die Verantwortlichen überlegen, ob vielleicht nicht Kapazitäten wie Arno Lederer oder Henri Bava geeignet wären, sie in den heiklen Fragen eines Theaterneubaus zu beraten. Diese hier beispielhaft in den Ring geworfenen Persönlichkeiten würden sich jedenfalls ideal ergänzen, auf der einen Seite der versierte Architekt, Architekturlehrer und Architekturpolitiker, der schon als Juryvorsitzender im Wettbewerb für die Kunsthalle Würth der Stadt auf lange Sicht einen guten Dienst erwiesen hat, und auf der anderen Seite der Landschaftsarchitekt, der in Praxis, Forschung und Lehre langjährige Erfahrung im Umgang mit Stadt und Wasser (Stichwort Waterfront) aufweisen kann, also genau jenen Themen, die Schwäbisch Hall am Unterwöhrd und Haal-Platz interessieren. Empfehlungen freilich, aber vielleicht auch die Chancen eines neuen Anfangs.