Kocherquartier in Schwäbisch Hall eine architektonische Enttäuschung

Volksbankhaus im Kocherquartier Schwäbisch Hall (2008-11). Foto: Privat.

Ein Jahr nach der Eröffnung wird das Haller Kocherquartier zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht durchaus positiv rezipiert. Grund mehr, einen Blick auf die Architektur des größten Bauvorhabens der malerischen Stadt am kocher zu werfen.

Architektonische Eingriffe, zumal von solch großer Tragweite wie das Kocherquartier, können nicht mit ein paar Bildchen, wie sie an den Baustellen prangen, erklärt werden. Tatsächlich entspricht der Gebäudekomplex, den wir jetzt ein Jahr nach der Einweihung betrachten können, in seiner architektonischen Qualität weder dem Tamtam mit dem er eingeweiht wurde noch den vielfältigen und tradierten Qualitäten der Haller Altstadt.

Vor vier Jahren habe ich in einem Leserbrief die stadträumlichen Qualitäten des Entwurfs gelobt und zugleich auf die Mängel hinsichtlich der architektonischen Sensibilität der beauftragten Architekten hingewiesen. Ohne Frage, die Durchwegung des Kocherquartiers mit den einzelnen Baukörpern, die Gassen und Winkel, die entstanden sind und den Komplex infrastrukturell mit der alten Stadt verzahnen, sind gelungen. Auch die Idee, die Nutzung zu mischen ist positiv hervorzuheben. Dass es flache Dächer geworden sind, ist eine echte Stärke, weil im Kontrast zu ihnen, die Giebel der Gelbinger Gasse noch besser in Erscheinung treten. Alt und Neu beflügeln sich hier gegenseitig, anstatt wie in einer Disney-Architektur dem Imitat geopfert zu werden. Andererseits wurde bei all‘ diesen guten Ansätzen keinerlei Verständnis für die atmosphärische Situation des alterwürdigen Halls gezeigt. Die gekurvte Stahlbeton-Wand der Volksbank wurde zwar alibihaft mit grobem Naturstein verkleidet, dann wiederum aber mit so vielen und dicht gedrängten Fenstern aufgelöst, dass man sich fragen muss, ob der Architekt den Sinn des Mauerwerks verstanden hat: Sichtbares Mauerwerk suggeriert von seinem Material und der kleinteiligen Schichtung her immer Geschlossenheit, stattdessen ist hier ein gewollt moderner Glasbau in pseudotraditionalistischem Gewand versucht worden.

Das Kocherquertier selbst bzw. die Mall kommt mit erbärmlicher Provinz-Sparkassen-Architektur daher. Die Architekten hatten seinerzeit versucht, sich mit den vermeintlich edlen Natursteinverkleidungen herauszureden, aber auch hier ist der Bruch mit der Stadt nicht wegzureden. Nicht dass beim Bau eines modernen Gebäudes ein Bruch nicht erlaubt sei, aber dann sollte er bitteschön konsequent umgesetzt werden, mit zeitgemäßen Formen und Mitteln. Wo in Hall die Architekten einen plausiblen Bezug zu diesen geschliffenen Platten und den verputzten Aufbauten hergeleitet haben, ist schleierhaft. Natürlich ging es nicht darum, Fachwerk nachzubauen oder die wenigen Natursteinfassaden der Haller Repräsentationsbauten zu reüssieren oder mit spitzen Dächlein ein gewohntes Bild aufzukochen, aber es ging sehr wohl um Sensibilität. Hier hätte die Kreativität der Architekten und die Vernunft der Stadtoberen eingreifen müssen, um einer zeitgemäßen Interpretation der Haller Altstadt nachzuspüren. – Um nur eine Anregung zu nennen, wie wäre es mit einer vertikalen, unbehandelten Holzverschalung gewesen, die mit der Verwitterung allmählich die Patina der Stadt angenommen hätte? Diese wäre originell, verschieden (es handelt sich ja um einen neuen Bau) und dennoch atmosphärisch angepasst gewesen? Beziehungsweise, hätte man sich nicht im Geiste an der Kunsthalle orientieren können? Nein, natürlich nicht. Flender & Drobig das sind bekanntlich Kaufhaus-Architekten und um nichts anderes ging es ja hier, um einen Kommerztempel; Henning Larsens hingegen – ein echter Könner – hat allein mit der Größe, Proportion und Materialität der Kunsthalle architektonischen Feinsinn bewiesen. Und man sage nicht, das sei am Geld  gelegen. Vielmehr lag aes m kompetenten Juryvorsitzenden (Arno Lederer) und dem Architekturbüro des Altmeisters Larsens selbst. Wie dem aber auch sein, kein wird in Abrede stellen können, dass sich dieses sogenannte Kocherquartier, von seiner Erschließung und dem renovierten Gefängnisbau abgesehen, auf jeder x-beliebigen Gewerbewiese einpassen würde, allerdings nicht in den Kontext Schwäbisch Halls. Zu sehr spricht hier die gestalterische Beliebigkeit und das Diktat des politischen und ökonomischen Pragmatismus in die Blöcke.

Für die Zukunft wünsche ich mir, dass die Stadtoberen, die sich jetzt mit dem Kocherquartier brüsten – tatsächlich aber nur fehlende architektonische Sensibilität bzw. die Unfähigkeit sich diese geschickt einzukaufen unter Beweis gestellt haben – sich bei der Vergabe großer altstadtnaher Bauaufgaben an qualitativ renommierte Architekten halten und bei der Besetzung der Wettbewerbskommissionen einen nachweislich im Umgang mit atmosphärisch reichen Kontexten erfahrenen Architekten ins Boot holen. Dann, dann vielleicht ließen sich solch teure Fehlgriffe vermeiden und dieser schönen Stadt würde Gerechtigkeit wiederfahren. Prof. Franck hat jedenfalls vollkommen Recht, wenn er bezüglich des Quartiers von einem ‚Patzer‘ spricht. Dass dieser ‚Patzer‘ allerdings auf dem vorletzten großen Filetstück der Stadt (es bleibt noch der Haal) seinen Platz gefunden hat, zeugt von einer kulturellen Verarmung, über die langfristig auch die neu erschlossenen Kommerzmöglichkeiten nicht hinwegtäuschen können. Das beste Stück des Kocherquartiers ist unbestritten das, wo die Baugeschichte schier nichts anderes mehr erlaubt hat, als die Auseinandersetzung mit dem Vorgefundenen sensibel anzupacken, nämlich die umgebauten Kopfgebäude (Torbau und dahinterliegender dreiteiliger Gebäuderiegel) des seinerzeit ebenfalls umstrittenen, als Fremdkörper empfundenen ehemaligen Gefängnisses.

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