Politexkurs 06|12 – Eurokrise

12.VI.2012 | Es war einmal der Euro

Märchen beginnen meist mit einer Floskel: „Es war einmal …, es war einmal der Euro.“ So oder so ähnlich könnte in ein paar Jahren das Kapitel Währungsunion in den Geschichtsbüchern der Schulen eingeleitet werden. Inzwischen scheint jedenfalls auch oder vor allem den Fachleuten bewusst geworden zu sein, dass das epochale Währungsprojekt Europas die sozioökonomische Realität seiner Mitmachstaaten überrannt hat. Viel zu schnelle Expansion und zu wenig Kohärenz nach innen im Zusammenspiel mit der blanken Gier nach Rendite haben die flachen Fundamente der Europäischen Wirtschaftsunion aufgezehrt. Nunmehr gleicht Europa, im Jahr vier nach der verheerenden Finanzkrise, einer ‚taumelnden‘ Titanic. Einer Titanic, auf der sich in einer merkwürdig surrealen Stimmung, kurz nachdem sie den Eisberg gerammt hat, erst allmählich das ganze Ausmaß einer (keineswegs nur griechischen) Tragödie ausbreitet: Auf der Brücke des gewaltigen Molochs tummeln sich spukende Geister ohne Orientierung und auf dem Bootsdeck taktiert eine insgeheim verzweifelte Dirigentin die verunsicherte Schiffskapelle noch zu einem letzten Stück, nur um am Ende den unausweichlichen Abgesang – die Rückabwicklung eines überaus ehrgeizigen Traums, der an der zunehmend liberalisierten Spekulationswut von Banken und Investoren zerschellt ist –, mit einer beschwichtigenden Litanei zu überdecken. „Der Euro war eine Gemeinschaftswährung, die sich in den Jahren des Hochmuts, zwischen 2002 (1992?) und 2012, anschickte, die wichtigste Reservewährung der Welt zu werden, indem sie in 23 starken oder vermeintlich starken, aber viel zu unterschiedlichen Ländern als Zahlungsmittel kursierte und schließlich wie Ikarus im Hochflug an ihre Grenzen stieß.“

| am 17. August 2012 in den Stuttgarter Nachrichten veröffentlicht