17.X.2012 | Fachkräftemangel und Jagd auf Credit-Points
Mit dem Start des neuen Semesters gilt es nicht nur den Andrang des sogenannten doppelten Jahrgangs zu bewältigen, sondern es wird auch deutlich, wohin sich das Hochschulwesen in Deutschland in den Jahren seit Beginn der Bologna-Reform bewegt hat. Tatsächlich hat das heutige Hochschulstudium, zumal an den Universitäten, kaum noch etwas mit dem zu tun, was seine ursprüngliche Intention war. Stattdessen ist es unter dem blauäugigen Diktat von Wirtschaft und Politik zu einer Vermittlungsmaschine arbeitsmarkrelevanter Qualifikationen verkommen. Was das Hochschulstudium einst im Sinne Humboldts als einen Prozess zur Heranbildung autonomer Individuen charakterisierte, ist heute eine hirnverbrannte Jagd auf Credit-Points, um möglichst schnell seine Markttauglichkeit erreichen zu können. Mit allen fachspezifischen Engstirnigkeiten und der Gewissheit, dass Geisteswissenschaften nur noch fürs Museum taugen, stürzen sich dann immer mehr Titelträger in ein Berufsleben, in dem Profit und Profitabilität immer mehr zählen werden als der Mensch oder der eigentliche Wert einer Sache, einer Erkenntnis. Im Grunde sollte das Studium dazu befähigen, selbständig und in Freiheit Schwerpunkte zu setzen, sich mit Lerngegenständen intensiv und aus eigenem Antrieb auseinandersetzen zu können und über die Horizonte des Machbaren hinauszudenken, anstatt ein rigides Programm wie in der Schule herunterzuspulen. So werden die Universitäten immer mehr zu markkonformen Ausbildungszentren, während die eigentliche Ausbildung und die sogenannten Ausbildungsberufe einen fortwährenden Anerkennungsverlust erfahren. Doch selbst der jetzt entdeckte Fachkräftemangel mag hier nicht als Erklärung gereichen, denn weit mehr als Ingenieure benötigen wir auch Handwerker. Vor allem hier wird sich in den folgenden Jahren ein großer Mangel an Personal und Qualität einstellen. Die Bologna-Reform hat also 13 Jahre später zu einer deutlich höheren Zahl von Studenten geführt; teuer erkauft hat man sich das jedoch mit einer merklich abgesenkten Qualität der Bildung und einer verkehrten Anerkennungskultur. Wahrscheinlich müssen noch einmal eineinhalb Jahrzehnte vergehen, um zu erkennen, dass Abiturienten- und Studentenzahlen keinesfalls dazu taugen, Rückschlüsse auf den Bildungsstand und die Kultur einer Gesellschaft zu ziehen; eine Gesellschaft zumal, die sich ernsthaft mit der Relevanz oder gar Abschaffung der Geisteswissenschaften beschäftigt hat. Darüber scheint man vergessen zu haben, dass der Mensch zwar ohne Technik nicht weit kommt, ohne Kultur jedoch kaum mehr ist, als ein Säugetier mehr auf diesem Planeten.